From a distance - Rückblick und Schluss

Pünktlich zu all den Jahresrückblicken möchte ich den Olympic Blog mit meiner eigenen Rückschau abschließen. Aus vier Monaten Entfernung  - was nehme ich mit von diesem einzigartigen Jahr ? Was könnt Ihr als Leser meiner Story mitnehmen ? Eine lose Sammlung:

  • Persönliche Highlights: Neben den Medaillen zu stehen und zu denken: "Ups, diesmal sind es die 'echten' !" Die Eröffnungsfeier live miterleben und wissen, dass eine Milliarde Menschen zusehen. Auf ein Scoresheet "Gold Medal Match" zu schreiben. Mit meinem Team zwei Wochen lang eine fehlerlose Leistung abzuliefern. Einmal mehr mit den TOP 50 der Welt auf Tuchfühlung zu sein - man kennt sich einfach, im großen Wanderzirkus. Auf dem Nullmeridian in Greenwich zu stehen. Meiner Höhenangst die Rote Karte zu zeigen und mit dem London Eye fahren. Und natürlich die Ehrungen durch meine Heimatstadt Rehau.
  • Persönliche Kritikpunkte: Wieso müssen sich Leute, die gerade Olympiasieger geworden sind, eigentlich immer besaufen, Trikots zerreißen, Schiffe demolieren oder sich anderweitig wie Neandertaler aufführen ? Und wieso begreifen Sponsoren nicht, dass sie sich mit ihren extremen Exklusivitäts-Allüren lächerlich machen ?
  • Das Konzept: Olympia darf man sich nicht als Turnier denken, sondern als Ausstellung. Dann ist das Konzept durchgängig logisch und sinnvoll.
  • Als reine Sport-Veranstaltung funktioniert es nicht: Sportler werden vier Jahre lang auf dieses eine Ziel getrimmt. Alles oder nichts. Die gut 100 Wettkämpfe, die z.B. Tischtennis-Spieler binnen vier Jahren absolvieren, müssen sich dem einen Wettkampf unterordnen ?  Das ist unsinnig, unökonomisch und wird der Würde des Sportlers und seiner Leistung nicht gerecht. Die Kritik der Aktiven an der Art der Sportförderung spricht da Bände - ebenso wie die "Blackouts" von Favoriten pünktlich bei Olympia, und ebenso wie die Doping-Problematik.
  • Als Sport-Ausstellung hingegen, als Expo für Sportarten statt Länder, ist es eine Riesensache: Es bringt Menschen zum Sport, die sich vorher nicht dafür interessiert haben. "Das ist ja toll, da schicke ich meine Kinder auch mal hin" - und schon sind sie weg von der Straße. Es gibt Menschen Motivation, Selbstwertgefühl und Sozialkompetenz - denkt an die 70.000 Freiwilligen, die "Games Makers"; an die Menschen, die die Flamme ein Stück tragen durften; an die Sportler und Funktionäre selber. In uns allen hat London 2012 das Gefühl hinterlassen, etwas Tolles getan, geleistet und erlebt zu haben. Die Flamme (Bild unten) ist dafür ein wirklich emotionales Symbol.   
  • Ich habe interessante Bekanntschaften geschlossen, so wie oben beim "Trikottausch" mit He Xiao, dem Chefdolmetscher der chinesischen Tischtennis-Delegation, der auch die Racket Control seines Teams betreut. Wir kennen uns schon seit etlichen Turnieren und haben viel Zeit zum Plaudern, weil er ja praktisch immer bis zum Finale ständig antanzen muss. Und O Wunder: Chinesen sind ganz normale Menschen. 😉  (Wir haben natürlich nicht über Politik gesprochen...)
  • Ich habe mir die Meinung gebildet, dass der öffentliche Nutzen Olympischer Spiele entscheidend vom Austragungsort aushängt, und damit auch die Berechtigung, Milliarden dafür auszugeben. London-Stratford von einer Industriebrache in einen Landschaftspark verwandelt - sehr gut. Olympia in Garmisch, wo alles schon schön ist und man es nur kaputtmachen kann - da verstehe ich die Bedenken.
  • Ich habe zwölf Monate meines Lebens als, sagen wir, B-Promi gelebt. Ich habe ungefähr ein Dutzend Presse- und Radiointerviews und eins im Regional-TV gegeben, saß bei zwei Sendern im Studio und davon einmal zu einer einstündigen Livesendung (wer einen Mitschnitt auf CD möchte: hab ich ...); ich war das Aushängschild meiner Heimatstadt für eine Sport-Bewerbung. War alles echt spannend, aber ich weiß jetzt auch, dass ich das nicht dauerhaft anstreben würde. Man kommt nämlich zeitweise nicht mehr zu seiner normalen Arbeit - Du hast nur noch das Organisieren von Medienterminen und das Formulieren von Botschaften im Kopf. Alle Medien haben mich freundlich und konstruktiv behandelt und ihren Job gut gemacht. Ich würde das Ganze auch jederzeit wieder tun. Nur auf Dauer ist es doch anstregend, so zu leben. Jetzt weiß ich, warum persönliche Manager, PR-Berater und ähnliches wirklich unverzichtbar für Promis sind. 
  • Ich habe noch nie im Leben eine so große Einkaufstour gemacht: Zum Shopping nach London - wer in meinem Bekanntenkreis kann das schon von sich behaupten ? Ein Sakko (O-Ton der Damenteams aus der Bayernliga: "endlich mal was Schickes für Schiedsrichter"), zwei Uniformhosen, zwei Oberhemden, zwei Freizeithosen, zwei Sporttrikots, ein Paar Sportschuhe, ein Hut, eine Mütze, ein Regenschirm, eine Regenjacke, zwei Taschen - alles zum Behalten und das für Null Pfund. Isabel hat gesagt: "Du siehst nicht aus, als kämst Du vom Sport." 😁 Nebenbei war es auch das erste und einzige Turnier, bei dem ich mal ein paar (wenige) hundert Euro "verdient" habe - die Tagespauschalen waren halt auch olympisch und nicht, wie sonst, null-auf-null...
  • Und es hat mich viel weniger Rennrad-Kilometer gekostet als gedacht: Das Jahr ist heute mit 3535 km zu Ende gegangen, das sind nur 303 weniger als 2011, obwohl ich ja den ganzen Juli nicht gefahren bin, um kein Risiko einzugehen.
  • Achja, und zu guter Letzt: Ihr alle. Ich habe mich riesig gefreut über all das Daumendrücken, Mitfiebern und hier Mitlesen. Ich kenne ja die Zugriffszahlen und die sprechen für sich. Aber auch all die neugierigen Fragen davor und danach waren toll - zeigen sie doch, dass man mit einem kleinen, aber umso feineren Freundeskreis die richtige Wahl getroffen hat. Dankeschön!

Zur Anreicherung entsteht nun gerade die Olympic Picture Gallery , die ich in 2013 noch nach und nach mit einer Auswahl meiner 750 Fotos aus London bestücke (und ein bisschen von den 2000, die meine Kollegin Claudia Möller gemacht hat).

Das wär's. Wie ich zu meinen Schiedsrichterkollegen immer sage: See you next time, anywhere in the world !